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Kultur Archiv-Sensation

Das vergessene Manifest der Illuminaten

Viele Verschwörungstheorien ranken sich um den Geheimbund der Illuminaten. Nun ist in einem Berliner Archiv ein Manuskript aufgetaucht, das die wahren Ziele seines mysteriösen Gründers preisgibt.

Die Illuminaten gehören zu den berüchtigtsten Geheimgesellschaften, die jemals gegründet wurden, und zugleich sind sie die vielleicht seltsamste. Während der kurzen Phase ihres Bestehens im 18. Jahrhundert versuchten sie weitgehend vergeblich, Macht und Einfluss zu gewinnen. Und als sie nach nur knapp zehn Jahren verboten und verfolgt wurden, wollte ihnen genau diese Macht- und Einflusslosigkeit plötzlich niemand mehr abnehmen.

Bis heute glauben Verschwörungstheoretiker, das mächtige Häuflein von Sinnsuchern um den jungen Ingolstädter Professor Adam Weishaupt habe einen Bund ins Leben gerufen, der seither die Weltpolitik lenkt. Ungeachtet ihres offiziellen Verbotes 1785 soll die Bruderschaft bis heute existieren. Mit dieser Idee spielt auch Bestseller-Autor Dan Brown in seinem Thriller „Illuminati“.

Historiker tun sich schwer, die Fantasien, die in Umlauf sind, einzudämmen. Nicht zuletzt, weil sie bei der Erforschung des Illuminatenordens mit einer schwierigen Quellenlage kämpfen.

Jetzt kommt Licht ins Dunkle der Entstehungszeit

Doch nun bringt ein lange völlig unbekanntes Dokument zum ersten Mal Licht in die undurchsichtigen Entstehungszusammenhänge der Illuminaten. Der Berliner Historiker Reinhard Markner hat es bereits vor einigen Jahren in einem Konvolut uralter Freimaurerakten entdeckt, wie erst jetzt bekannt wurde:

Es ist das Fragment eines Textes, in dem Illuminaten-Gründer Adam Weishaupt zum ersten Mal die Umrisse der von ihm geplanten Geheimgesellschaft skizziert, vermutlich maximal anderthalb Jahre vor der tatsächlichen Gründung des Illuminatenordens am 1. Mai 1776.

Der Titel „Illuminaten“ taucht in dem Text noch nicht auf. Stattdessen propagiert er eine „Schule der Menschheit“. Der Entwurf, den ein Zeitgenosse „Weishaupts erste Unionsacte“ nannte, belegt nicht nur die hehren Ziele, denen sich Weishaupts Geheimgesellschaft verschreiben wollte. Er gewährt auch eine Vorahnung auf ihre Abgründe.

Die Handschrift hat eine Odyssee hinter sich

Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), Berlin-Dahlem. Das prächtige dreiflügelige Gebäude aus den Zwanzigerjahren ist ein Dorado für Historiker. Hier lagern die Regierungsunterlagen des früheren Staates Preußen.

Hier werden aber auch gewaltige Archive der verschiedenen Freimaurerlogen Deutschlands aufbewahrt. Akten, Mitgliederlisten, Ritualtexte, die einst von den Nazis beschlagnahmt wurden aus Angst vor einer geheimen Opposition. Die Dokumente haben eine Odyssee hinter sich.

Im Bombenkrieg wurden sie ausgelagert, dann von der Roten Armee nach Moskau verbracht, später, mit anderen Archivbeständen, in langen Güterzügen an die DDR restituiert. Nach der Wende entschieden die Freimaurer, die Unterlagen in staatlichem Gewahrsam zu lassen – die Logen sind allerdings wieder die Eigentümer.

Die Freimaurer rätseln, welche Loge zuständig ist

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Ein Antrag, die Handschrift mit der Signatur GStA PK FM 5.2. D 32 Nr. 76 einzusehen, braucht entsprechenden Vorlauf. Nicht nur das Archiv, auch die Freimaurer müssen ihre Erlaubnis geben. Die können wegen des schieren Alters des Dokumentes – rund 200 Jahre – auf Anfrage der „Welt“ zunächst nicht herausfinden, welche Loge genau zuständig ist.

Zur Sicherheit stellen schließlich die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland und die Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer (in Vertretung der Dresdner Logen Zum goldenen Apfel sowie Zu den drei Schwertern und Asträa zur grünenden Raute) Genehmigungen aus.

Reinhard Markner kommt derzeit jede Woche in den Forschungssaal im ersten Stock. Von ihren Ehrenplätzen auf den Bücherregalen aus beobachten die Büsten preußischer Fürsten die Wissenschaftler, die sich hier über vergilbte Archivalien beugen.

Markner erkennt Adam Weishaupt an der Handschrift

Markner, 46, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Innsbruck und Spezialist für die Epoche der Aufklärung und die Geschichte der Freimaurer. Ein Mann, der die Handschrift eines Adam Weishaupt oder eines Freiherrn von Knigge erkennt, wenn er sie sieht.

Markners Ziel ist es, alle wichtigen Lehr- und Gradtexte des Illuminatenordens aus den Originalunterlagen zu rekonstruieren und als Buch herauszugeben. Die Edition soll im Oktober zunächst auf Englisch unter dem Titel „The Secret School of Wisdom“ erscheinen, später auch auf Deutsch.

„Weishaupt lehrte seine Anhänger, wahre Weisheit müsse im Geheimen weitergegeben werden, um sie vor Zensur und Verfolgung durch die katholische Kirche und die weltliche Obrigkeit zu schützen“, sagt Markner. Dieser Gedanke lässt sich auch spüren in dem frühen Manuskript, auf das er im Laufe seiner Untersuchungen gestoßen ist und das er als „Proto-Illuminatismus“ bezeichnet.

Das Weishaupt-Original ist verschollen

Ein berühmter Freimaurer namens Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816) hat das Textfragment für die Nachwelt erhalten. Er kaufte das Autograf noch zu Weishaupts Lebzeiten und ließ Abschriften davon anfertigen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in historisch interessierten Freimaurerkreisen kursierten. Doch mit der Zeit geriet der Text in Vergessenheit.

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Das Weishaupt-Original ging verloren. Nur einige der Abschriften von damals sind noch erhalten. Markner hat mittlerweile vier davon entdeckt. Die erste davon war GStA PK FM 5.2. D 32 Nr. 76.

Die Seiten, etwas kleiner als DIN A4, sind mit Fäden in der Mitte zu einem Heft gebunden. Die feinen, rotbraunen Buchstaben in Kurrentschrift scheinen auf unsichtbaren Linien zu balancieren. Nach der Überschrift „Beylage B“ folgen 38 Seiten. Am Ende hat ein Schreiber mit anderer, schwarzer Tinte vermerkt: „Hier bricht dieser Aufsatz ab und geht nach der Versicherung des Bruders Schröder nicht weiter.“

„Schule der Menschheit“

Als Weishaupt den Text schrieb, war er gerade mal Mitte zwanzig und frisch ernannter Professor für Kirchenrecht in Ingolstadt. Von seiner Lehrtätigkeit offenbar nicht ausgelastet, fordert er hier eine verborgene „Schule der Menschheit“, die ihre Mitglieder auf den Pfad der Tugend führen soll.

Das Ideal, dass es zu erreichen gelte, sei „die bestmöglichste Ausbildung ihrer gesammten körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Kräfte“. So wolkig das Ziel ist, so konkret sind bereits die Klubstrukturen, die Weishaupt vorschweben.

Die Versammlungen der Schule stellt er sich als geheime Lesezirkel vor, die in möglichst vielen Städten entstehen sollen. Mitglieder tauschen ihre Bücher aus und legen für Neuanschaffungen zusammen. Die Konspiration stellt sicher, dass man auch brisante Literatur zu Gesicht bekommt.

Gefragt sind nur Rekruten aus der Elite

Um Einfluss zu gewinnen, setzt Weishaupt auf Infiltration. Seine Schüler sollen im Geheimen, „unvermerkt“, andere Gruppierungen anleiten und beeinflussen. Dafür braucht es starke Figuren. Rekruten aus der Elite. „In unsrer Schule soll niemand geduldet werden, der nicht entweder ein öffentliches Amt bekleidet oder durch eine selbst gewählte Beschäftigung, dem Publikum nützlich zu seyn, sich bemühet.“

Aspiranten, die noch keinen Posten haben, müssen zumindest glaubhaft machen können, einen anzustreben, um gute Chancen zu haben. Gerät eine Karriere ins Stocken, können die Senioren der Loge diskret nachhelfen. „Und die gesammte Schule wird zu allen Zeiten allen ihren Credit, Bekanntschaften und, wenn es nicht anders seyn kann, ihr Geld anwenden“, um einem Klubmitglied das von ihm angestrebte Amt zu verschaffen.

„Es soll daher ein jeder Schüler alle Nachrichten von Vacanzen, von den Personen, die sie zu besetzen haben, und von den Mitteln, die Wahl zu dirigiren, an den derzeitigen Prorektor einschicken, der nach seiner Instruction damit verfahren wird.“

Eine Art Denunziationssystem

Besonderen Wert legt Weishaupt auf die ständige Kontrolle seiner Mitglieder. Jeder Schüler – Weishaupt denkt nur an „Jünglinge“, nicht an Frauen – soll Tagebuch führen und am Ende jeden Monats daraus eine Zusammenfassung machen, in der „der Fortgang seiner Kenntniße und Tugenden“ ersichtlich ist.

Am Jahresende muss wiederum eine Zusammenfassung dieser Schriften angefertigt werden inklusive der Ziele fürs nächste Jahr. All diese Dokumente sind bei den Versammlungen der Weisheitsschule mitzubringen, damit sich die Mitglieder gegenseitig „bis auf den Grund der Seele kennen“.

Eine Art Denunziationssystem soll die Schüler auf Linie halten. Jeder von ihnen ist aufgerufen, Laster der anderen, die „einige Verderbniß des Charakters“ erkennen lassen, dem Prorektor zu melden. Wenn sich das Problem nicht legt, soll nach einer „Criminal-Ordnung“ verfahren werden, die im Fragment allerdings nicht mehr überliefert ist.

Was moralisch gut ist, entscheidet die Leitung

Wenn sich die Weisheitsschüler ausreichend erleuchtet fühlen, um selbst Schriften zu verfassen, „so müssen sie angehalten werden, alle ihre Producte vor der Bekanntmachung dem Urtheile des Prorektors und der von ihm verordneten Censoren zu unterwerfen und alles auszustreichen, was mehr Schaden als Nutzen verursachen würde.“ Was moralisch gut und richtig ist, entscheidet die Schulleitung.

Illuminaten-Forscher Markner hat den Wortlaut des Textes aus der Handschrift transkribiert und im „Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt“ veröffentlicht. Er sagt: „In diesem Entwurf zeigt sich die Ambivalenz von Weishaupts Ideen, die später auch das Problem des Illuminatenordens sein wird.“

Weishaupt sei ein Idealist gewesen, dem die moralische Verbesserung der Menschheit ein Herzensanliegen gewesen sei. „Er war aber auch ein Zyniker der Macht, der keine Probleme damit hatte, Leute zu täuschen und auszuspionieren. Das Interesse, der Allgemeinheit zu dienen, erwies sich im Zweifelsfall als nachrangig gegenüber dem Interesse der Organisation.“

Deckname Spartacus

Tatsächlich war es dieser innere Widerspruch, der den Illuminatenbund nach seiner kurzen Blüte rasch auseinanderbrechen ließ. Erklärtes Ziel der Bewegung war es, für die aufklärerischen Ideale von Vernunft, Gleichheit und religiöser Toleranz zu kämpfen. Anfangs bestand sie nur aus Weishaupt, der den großspurigen Decknamen Spartacus wählte, und vier Studenten. Sie war auf das provinzielle Ingolstadt beschränkt, dessen Uni im Vergleich zu führenden Hochschulen wie Göttingen als bayerische Klitsche galt.

Im Laufe der 1770er-Jahre wurden allerdings auch höher gebildete Bürger und aufgeklärte Adlige in der Residenzstadt München auf den Klub aufmerksam, der im Trend des Geheimbund-vernarrten 18. Jahrhunderts lag.

Als 1780 der junge Adolph Freiherr von Knigge gewonnen wurde – Deckname „Philo“ –, konnten die Illuminaten dank seiner Freimaurerverbindungen rasch an Bedeutung gewinnen. Sie breiteten sich über ganz Deutschland aus. In der Hochphase zählte die Bruderschaft bis zu 2000 Mitglieder. Prominente wie Goethe und Herder traten ein. Schiller, der in den Achtzigerjahren seinen „Don Karlos“ schrieb, ließ die allgemeine Illuminatenbegeisterung in die Figur des Marquis Posa einfließen.

Mit der Zeit fingen die Mitglieder an zu murren

Doch je mehr Einblicke die Mitglieder in die neue Gesellschaft erhielten, desto mehr bekamen sie den Eindruck, dass sich all das Gewese um geheime Grade, Observanzen und Rituale nur um sich selbst drehte. Dass das wahre Ordensziel nicht in der höheren Erkenntnis seiner Anhänger, sondern im bloßen Vorhandensein des Ordens bestand. Dass die geheimen Wahrheiten, über die der Orden angeblich verfügte und die aus den frühesten Zeiten der Menschheit überkommen sein sollten, gar nicht existierten.

Immer mehr sahen in Weishaupt einen Hochstapler, noch dazu einen mit autoritärem Führungsstil. Als der Bund schließlich 1785 in Bayern verboten wurde, hatten sich viele bereits von ihm abgewandt. Erst als es keine Illuminaten mehr gab, entfaltete sich der Mythos von einer Untergrundloge voller mächtiger Staatsfeinde, der heute noch fortlebt.

Weishaupt hält an seiner Vision fest

Adam Weishaupt selbst floh nach seiner Enttarnung ins Exil nach Gotha, wo der bayerische Kurfürst ihn, den vermeintlichen Aufrührer, nicht belangen konnte. Bis zu seinem Tod 1830 versuchte er, seinen ruinierten Ruf wiederherzustellen. Er räumte Fehler ein, distanzierte sich von manchen Gedanken, die er als Spartacus geäußert hatte. An seiner frühesten Vision aber hielt er fest.

In einer „Rechtfertigung meiner Absichten“ notiert Weishaupt: „Mein Hauptverbrechen ist also, dass ich das Gute nicht bloß gekannt, gewollt oder wie so viele Lehrer nicht bloß gelehrt habe; dass ich mehr getan, dass ich zu seiner größeren Verbreitung wirkliche Anstalten getroffen, dass ich dazu eine eigene Schule gegründet habe.“

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